Wenn sie nicht im Keim erstickt wird, verspricht die Diskussion in der verfassungsgebende Versammlung, spannend zu werden. Geführt wird sie im Schatten der Wirtschaftskrise. Heute streiten sich die Gemüter darüber, ob der Staat zur Ankurbelung der Privatwirtschaft mehr Geld ausgeben soll oder ob er im Gegenteil zur Sanierung seiner eigenen Finanzen mehr sparen soll. Aber die Struktur bzw. Verteilung der Ausgaben und Einnahmen ist (noch) kein Thema.
Auf der anderen Seite verschärft sich der mit Arbeitslosigkeit und Fürsorgedependenz verbundene, soziale Sprengstoff immer mehr. Insgesamt gilt zwar die Schweiz heute als verhältnismäßig großzügiger Sozialstaat, woraus sich wiederum ein Dämpfungseffet auf die Rezession ableiten lässt. Dennoch bleibt diese Art der Konjunkturpolitik rein defensiv und gegenüber der Strukturkrise, in der wir seit Jahren stecken, insgesamt perspektivlos.
Daher stellt sich immer mehr die Frage, ob das bedingungslose Grundeinkommen wie bisher in erster Linie als gesellschaftlicher Fortschritt zu vertreten ist, oder ob man es nunmehr als Bestandteil einer alternativen Strategie begreifen soll – als Ausweg aus dem mit immer weiter steigender Instabilität und Arbeitslosigkeit auf Weltebene drohenden, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Chaos.
Bleiben wir nämlich orthodox, in der Hoffnung auf ein baldmöglichstes zurück zum „business as usual“, dann werden wir zwar die Anpassung der Unternehmen an den neuen, bescheideneren Marktlagen und deren damit verbundene Rückkehr in die Gewinnzone erleben, weil gut geführte Unternehmen heute dazu fähig sind (Das ist auch der entscheidende Unterschied mit den dreißiger Jahren). Schon freuen sich Banken wie Börsianer – „und der Staat blicket stumm, auf den ganzen Tisch herum.“
Zusammengefasst spricht diese Anpassung auf niedrigerem Niveau zwar für eine einzelwirtschaftliche, aber deshalb noch lange nicht auch volkswirtschaftliche Machbarkeit des „negativen Wachstums“, von welchem derzeit einige ökologische Extremisten träumen. Hier ist neues Denken und Handeln unbedingt gefragt. Sonst wird das Gesundschrumpfen des Weltkapitalismus uns allen zum Verhängnis.
In Genf wird man solche Grundsatzfragen wohl kaum angehen können. Dort wird man sich mit der bisherigen –an sich fundierten, wenn auch nicht mehr in ausreichendem Maße – Argumentation für ein bedingungsloses Grundeinkommen begnügen müssen. Hinzu kommt noch, dass die Umsetzung des Grundrechts auf menschenwürdige Existenz im lokalen Rahmen eines Schweizer Kantons nicht ohne weiteres einsichtig ist.
Die Finanzierung des Grundeinkommens sollte die Lohnkosten der Unternehmen nicht zusätzlich belasten, weil wir damit den besagten Schrumpfungsprozess nur beschleunigen würden. Hinzu kommt, dass heutzutage viele, gesellschaftlich äußerst nützliche Aufgaben nicht oder nur halb wahrgenommen werden, weil zu arbeitsintensiv und damit zu teuer oder wirtschaftlich nicht machbar. Denken wir zum Beispiel an das Pflegepersonal für ältere Mitbürger, an Reparaturwerkstätten, biologischen Anbau in der Landwirtschaft und dergleichen mehr.
Hingegen ist es höchste Zeit, dass eine steuerliche Einkommensumverteilung von potentiellen Investoren hin zu potentiellen Verbrauchern eingeführt wird. Hier geht es nicht nur um einen reinen Sozialtransfer (zumal es etwa so wenig arme Investoren wie reiche Verbraucher gibt), sondern auch darum, ein volkswirtschaftlich tragbares Gleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot wieder herzustellen und damit das „Gesundschrumpfen“ der Wirtschaft soweit als gesellschaftlich notwendig aufzuhalten. Denn wie die neusten Erfahrungen zeigen – abgesehen von Mißwirtschaft – sind heute Wirtschaftsunternehmungen durchaus in der Lage, sich an Veränderungen auf dem Markt zumindest mittelfristig anzupassen.
So gesehen ist die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommen im Kanton Genf einerseits durch Einsparungen im aktuellen Sozialbudget, insofern das Grundeinkommen die entsprechende Leistungen ersetzt, und andererseits über eine angemessene Reform der Einkommenssteuer durchaus finanzierbar.
Die eigentlichen Schwierigkeiten liegen nicht an der Finanzierungsfrage. Die eigentlichen Schwierigkeiten sind bei den in der Bevölkerung herrschenden Verhaltensmustern sowie bei der sich darauf stützenden Politik zu suchen. Deshalb betrachten wir die Aktion „Genfer Verfassung“ zunächst einmal als Öffentlichkeitsarbeit.
Das bedingungslose Grundeinkommen muss endlich vom Podest der schönen Idee weg und als systemische Option in die praktische Politik eindringen. Sonst stehen wir möglicherweise schon in ein paar Jahren vor dem Totalschaden und wissen nicht was tun, außer uns hinter unsere Grenzen zu verschanzen und Kriegswirtschaft zu betreiben.
Bernard Kundig
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