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Aus der Wochenzeitung vom 2 Juli 2009: Dein Wert entsteht doch nicht aus deiner Arbeit !

Wochenzeitung - Ausgabe vom 2 Juli2009 – Wirtschaft


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GRUNDEINKOMMEN Steht bald ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Genfer Verfassung? Eine Begegnung mit den InitiantInnen beim «Antikrisenmenü».

 

Dein Wert entsteht doch nicht aus deiner Arbeit !

Von Helen Brügger

Treffpunkt ist bei der alten Post in Vandoeuvres. Der Abbau des Service public und die Krise haben auch vor dieser vermögenden Genfer Landgemeinde nicht halt gemacht: Aus der abgewickelten Post ist ein Bistrot geworden, das zu Mittag ein «Antikrisenmenü» für zwölf Franken anbietet. Zu dritt kommen die VertreterInnen des Vereins Bien-CH (Basic Income Earth Network Switzerland) zum Rendez-vous: Bernard Kundig, 64, Industrie-Soziologe und ehemaliger Universitätsprofessor, Ralph Kundig, 55, Pianist und Webmaster, Anne Béatrice Duparc, 31, im Sozialbereich tätig und Administratorin der Bien-Facebook-Gruppe.


Schon im Früsozialismus
Sie und ihre MitstreiterInnen waren in den letzten drei Wochen in der Genfer Innenstadt anzutreffen, sie haben dort Unterschriften für ein Unterfangen gesammelt, das von politischen RealistInnen vielleicht als Utopie bezeichnet würde: Unterstützt von über 1200 StimmbürgerInnen verlangen sie die Verankerung eines bedingungslosen Grundeinkommens in der Verfassung.

Die Idee ist nicht neu: Frühsozialisten formulierten sie, christliche Kreise stritten darüber, neoliberale Ideologen möchten sie zum obligatorischen Almosen degradieren. André Gorz, Philosoph und Vordenker der postindustriellen Gesellschaft, hat sie vor dreissig Jahren aufgenommen. Jeder Mensch, ob arm oder reich, lohnabhängig, arbeitslos oder freischaffend, hat das Recht auf ein vom Staat bezahltes Grundeinkommen. Dahinter steht eine Überzeugung: In einer Welt, der die (Lohn-)Arbeit ausgeht und in der lebenslange Vollbeschäftigung zur Ausnahme wird, muss der Wechsel zu andern Tätigkeitsformen existenzsichernd gestaltet werden, was dank der gestiegenen Produktivität der Weltwirtschaft auch möglich ist.

Bien-CH, Mitglied des weltweiten Bien-Netzes, ist 2001 in Genf gegründet worden, seither hat sich das Grundeinkommens-Netzwerk vor allem in der Westschweiz entwickelt. 50 bis 100 Mitglieder zähle es schweizweit, sagt Bernard Kundig, der als Vizepräsident des Vereins amtet; Präsident ist der Zürcher Gewerkschafter Albert Jörimann. Bisher habe man an runden Tischen über die Forderung diskutiert, jetzt, mit der Weltwirtschaftskrise, sei der Moment gekommen, die Idee zu konkretisieren.

Und da in Genf zur Zeit über eine neue Verfassung beraten wird, hat der Verein einen kollektiven Vorschlag an die verfassungsgebende Versammlung aufgesetzt. «Wir haben unser Ziel, 1000 Unterschriften zu sammeln, mehr als erreicht», freut sich Bernard Kundig. Denn ab 500 Unterschriften müssen die VerfassungsreformerInnen Vorschläge aus der Bevölkerung behandeln. Ende Juni werden die Listen eingereicht.


Einwände pariert
Die Forderung werde bei der Unterschriftensammlung erstaunlich gut aufgenommen, sagt Ralph Kundig: «Es ist jetzt fast allen klar geworden, dass es nicht wie bisher weiter gehen kann.

 


Der Linken gefällt nicht, dass auch die Reichen das Geld bekommen sollen.


 

Die häufigsten Einwände? «Von rechts haben wir gehört, damit werde die Faulheit gefördert, von links wurde kritisiert, dass das Grundeinkommen auch an Reiche gehen soll.» Er pariert beide Einwände: «Es geht um die Befreiung des Menschen vom Lohnarbeitszwang, um ihm zu ermöglichen, kreative, sozial und gesellschaftlich nützliche Arbeit zu leisten», gibt er den bürgerlichen Kritikern zurück. Auch für die linken Miesmacher hat er eine Antwort: «Das Grundeinkommen ist ein Menschenrecht; wenn es an alle geht, ist es endlich mit der Diskriminierung von Fürsorge-Empfängern vorbei.»

Würde das bedingungslose Grundeinkommen heute in der Schweiz eingeführt, müsste es einen Betrag in der Höhe von 2000 bis 2500 Franken pro Kopf und Monat betragen, rechnet der Bien-Vizepräsident. Das entspreche etwa einem Drittel des Bruttoinlandprodukts. Und da schon heute rund ein Drittel des Bruttoinlandprodukts in die soziale Sicherheit fliesse, handle es sich nur um eine Verlagerung der Kosten. Der Umbau des bisherigen Systems würde also nicht mehr kosten, sondern im Gegenteil Einsparungen in der Administration erlauben. Die Kritik, dass damit ein Angriff auf die bisherigen Sozialleistungen ausgelöst werden könnte, wehrt Bernard Kundig ab: Das Grundeinkommen würde einfach andere Sozialleistungen «bis zu dieser Höhe» ersetzen, darüber hinaus gehende Ansprüche würden weiter gelten. Doch wer soll das bezahlen? Bernard Kundig denkt am Modell einer Finanzierung des Grundeinkommens durch eine nur zu diesem Zweck eingesetzte Mehrwertsteuer herum, doch in diesem Punkt sei die Debatte im Verein noch im Gange.


Ohne Wachstum am Ende
Was aber passiert mit den in mühsamen gewerkschaftlichen Kämpfen erreichten Minimallohn-Standards? Mitnichten sei das Grundeinkommen ein Angriff auf Minimallöhne und die Rolle der Gewerkschaften, im Gegenteil: «Wir sind die Verbündeten der Gewerkschaften, weil niemand mehr gezwungen ist, schlechte Arbeitsbedingungen zu akzeptieren!» Auf ebensoviel Gehör hofft Kundig aber auch bei aufgeschlossenen kleinen und mittleren Unternehmern zu stossen, die «unter den arbeits- und steuerrechtlichen Reglementierungen» litten.

Nein, die BefürworterInnen eines Grundeinkommens greifen die kapitalistischen Produktionsverhältnisse nicht an. «Der Kapitalismus als wirtschaftliches Modell ist sowieso am Ende, sobald kein Wachstum mehr möglich ist,» zuckt Bernard Kundig die Schultern, «er vernichtet sich langsam aber sicher selbst.» Das bedingungslose Grundeinkommen habe unter anderem auch die Aufgabe, den Einflussbereich der kapitalistischen Produktionsweise fortschreitend zu verkleinern und einen Paradigmenwechsel hin zu einer wirtschaftlichen und sozialen Alternative einzuleiten. Anne Béatrice Duparc formuliert es weniger akademisch: «Wir leben in einer Welt, in der jeder dauernd seine Existenz und seinen Wert gegen andere verteidigen muss. Das Grundeinkommen bringt eine Freiheit, in der jeder für sich selbst und gleichzeitig für die andern tätig sein kann.»
 

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Eine ausführliche und kritische Würdigung der Idee in: «Prekäre Arbeitsgesellschaft», Widerspruch Heft 49,  www.widerspruch.ch.

 

 

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