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Robert Reich : ohne Grundeinkommen wird es nicht gehen

Warum der US-Ökonom und Ex-Arbeitsminister Robert Reich die Schweizer Initiative befürwortet und was das mit Robotern zu tun hat.

Robert Reich
Die Aufstiegschancen haben sich halbiert – Robert Reich (16. Januar 2014).

Mit Robert Reichsprach – Michael Soukup

Sie sind ein prominenter Verfechter des Grundeinkommens, über das die Schweiz im Juni abstimmt. Warum?

Ohne Grundeinkommen wird es früher oder später nicht gehen, weil wir einfach keine andere Wahl haben. Der technische Fortschritt frisst zunehmend die guten Jobs weg. Der britische Ökonom John Maynard Keynes sagte 1928, dank des technischen Fortschritts müsse 2028 niemand mehr arbeiten, um seine Existenz zu sichern.

Arbeiten wir nicht mehr denn je?

Es dauert noch 12 Jahre, bis wir Keynes prophetisches Jahr erreichen. Was die technologische Entwicklung angeht, sind wir auf dem besten Weg dahin: Wir haben 3-D-Drucker, selbstfahrende Autos oder unbemannte Drohnen. Aber die Entwicklung des Arbeitsmarktes macht mir Sorgen. In den nächsten 25 Jahren verschwindet wegen des technischen Fortschritts etwa die Hälfte der gut bezahlten Stellen. Diese Jobs machen heute den Mittelstand aus. Immer mehr gut ausgebildete und verdienende Menschen müssen schlecht entlöhnte Stellen im Gastgewerbe oder im Gesundheitswesen annehmen. Um die Frage zu beantworten: Ja, die Amerikaner arbeiten immer härter, aber nicht aus Freude, sondern um zu überleben.

Wie könnte das Grundeinkommen da helfen?

Es ist aus zwei Gründen nötig. Die meisten Menschen werden mittel- und langfristig weiterhin viel arbeiten, aber zu einem viel tieferen Lohn. Das zusätzliche Grundeinkommen verhindert, dass sie vollends verarmen. Gleichzeitig wird gewährleistet, dass die Menschen weiterhin konsumieren und damit die Wirtschaft am Laufen halten können. Denn Roboter kaufen bekanntlich nicht die Produkte, die sie herstellen.

Und ohne Grundeinkommen?

In Zukunft würden die wenigen Reichen noch viel reicher, der Mittelstand verschwinden und die Massen am Rande des Existenzminimums leben. Wobei die neuen Superreichen die Besitzer und Topmanager der Technologiefirmen sind. Diese Entwicklung können Sie schon heute im Silicon Valley beobachten. Deshalb brauchen wir einen neuen Mechanismus, um den Wohlstand der Superreichen wieder unter die Leute zu bringen und damit in letzter Konsequenz den Kapitalismus zu erhalten.

Die meisten Amerikaner glauben nach wie vor, dass es jedermann mit harter Arbeit schaffen kann. Was denken Sie?

Die Zahlen zeigen eine andere Realität. Seit den 1970er-Jahren begannen die Einkommen zu stagnieren, während die Produktivität und die Wirtschaft stark wuchsen. 2013 war das mittlere Haushaltseinkommen inflationsbereinigt tiefer als 1989. Zwei Drittel der Amerikaner verdienen zu wenig, um etwas auf die hohe Kante legen zu können. Ausserdem haben sich die Aufstiegschancen für ­Kinder aus der Mittelklasse halbiert.

Eine grosse Mehrheit der Schweizer wird das Grundeinkommen wohl ablehnen. Ist das nicht entmutigend für die Befürworter weltweit?

Nein, wir haben bereits gewonnen, weil über das Grundeinkommen breit diskutiert wird. Es wird noch mindestens ein Jahrzehnt dauern, bis sich in den USA eine politische Mehrheit dafür findet.

Der Zeitgeist ist heute rechts, die Menschen wollen keine linken Antworten. Würden nicht die meisten Amerikaner das Grundeinkommen als sozialistisches Konzept ablehnen?

Die jungen Leute in den USA haben weniger Berührungsängste als ihre Eltern und Grosseltern, die den Kalten Krieg noch erlebt haben. Sozialismus ist für sie kein Schimpfwort mehr. Das beweist der grosse Zulauf, den Bernie Sanders erlebt. Es ist ihnen auch klar, dass es den Markt nur dank dem Staat gibt, der die Rahmenbedingungen schafft. Und hier stellt sich die grosse Frage: Wie kommen diese Spielregeln zustande? Welchen Einfluss haben die Konzerne und ihre Lobbyisten auf den politischen Prozess? Denn Einkommen und Vermögen hängen davon ab, wer die Macht besitzt, diese zu bestimmen. Heute bevorteilen die Rahmenbedingungen in erster Linie die Reichen. Die Regeln sollten aber eine Marktwirtschaft gewährleisten, die allen dient – und dafür steht Bernie Sanders.

Ein Sieg von Hillary Clinton wäre auch ein Sieg der Konzerne und Banken, die sie unterstützen.

Sagen wir es so: Hillary Clinton würde sicherlich eine sehr gute Präsidentin abgeben, ich kenne sie schon seit vielen Jahren. Sie führt aber im Unterschied zu Sanders keine Bewegung an, die Ame­rikas Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen verändern will.

​Quelle : Tages Anzeiger — 2. May 2016

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