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Was heisst da «Utopie»?

Termine:

PODIUMGESPRÄCH :

DAS BEDINGUNGSLOSE GRUNDEINKOMMEN – WAS HEISST DA „UTOPIE“?

 

Zürich 23.11.2010

Im Podium:

Daniel Häni, Unternehmer, Mitbegründer der Initiative Grundeinkommen, Basel

Philipp Löpfe, Journalist

Christian Müller, Agentur mit Grundeinkommen, Zürich

Katharina Prelicz-Huber, Nationalrätin, Zürich

Prof. em. Dr. Peter Ulrich, HSG

Prof. Dr. Theo Wehner, ETHZ

Moderator:

Albert Jörimann, Präsident BIEN-Schweiz

 

EINFÜHRUNG

Die fünf Referenten und die Referentin fassten ihre Beobachtungen und Meinungen aus der Sicht ihrer Spezialgebiete kurz zusammen und traten dann in einen Dialog mit dem Publikum. Im Folgenden sind einige von mir notierten Bemerkungen zusammengefasst.

 

1. DIE GEGENWÄRTIGE SITUATION

Daniel Häni umriss den gegenwärtigen Stand des bedingungslosen Einkommens (bGE) indem er auf die Spannung zwischen zwei gegensätzlichen Einstellungen zum bGE aufmerksam machte: Auf der einen Seite die Erkenntnis, dass es eine logische und vernünftige Idee sei, auf der anderen Seite dass viele Menschen sie als utopisch betrachten.

Katharina Prelicz-Huber sprach über politische und soziale Aspekte des bGE und bemerkte, dass obwohl die Schweiz das reichste Land der Welt sei, etwa eine Million Menschen an der Armutsgrenze leben. Gleichzeitig sei das Sozialversicherungssystem kompliziert und entwürdigend, teilweise sogar ungerecht, da die Politik bestrebt sei, psychisch Kranke aus der Invalidenversicherung auszuschliessen. Zudem findet eine würdelose Diskussion über den Missbrauch der Sozialversicherungen stattfinden. Das bGE könnte diese Situation ändern, bei den Frauen das prekäre Verhältnis Arbeit-Kinderbetreuung eliminieren und manche Arbeit zulassen, die heute unbezahlt und dadurch unmöglich gemacht wird.

Professor Ulrich bemerkte zum sozial-ökonomischen Aspekt, dass der gegenwärtige Arbeitsmarkt überfordert sei, die berühmte ‚unsichtbare Hand‘ das verfügbare Geld ungleich verteile, wodurch die soziale Schere sich ständig erweitert. „Geld macht frei“ gelte je länger desto mehr für eine kleine wohlhabende Schicht, hingegen werden Arbeitsverhältnisse immer prekärer. Das Volk liefe Gefahr, von der liberalen Gesellschaft geschluckt zu werden (Plutokratie). Gegenwärtig würden nur die Symptome einer sich abzeichnenden sozialen Krise behandelt, nicht die Ursachen. Durch die entwürdigende Einkommensermittlung bei Sozialfällen würde sukzessive ein ‚Sozialpolizeistaat‘ entstehen. Insgesamt sieht er die Gefahr eines Rückfalls in eine vormoderne, neofeudale Gesellschaft, der zu unkontrollierbaren Reaktionen führen könnte. Er zitierte dazu den deutschen bürgerlichen Politiker und späteren Abgeordneten im Britischen Oberhaus, Ralf Dahrendorff: Die grösstmögliche Freiheit der Bürger entstünde durch die Zivilisierung des Marktes. Das bGE wäre ein hervorragendes Mittel, um zu dieser Freiheit zu gelangen. Allerdings muss das Erwerbseinkommen im Gegensatz zum Lohneinkommen vom Arbeitsmarkt entkoppelt werden, wie es das bGE fordert.

Professor Wehner machte geltend, dass die gegenwärtige Arbeitspsychologie und –Pädagogik für die entstehende Situation nicht relevant sei, da sie sich ausschliesslich mit der Erwerbsarbeit beschäftigen würde. Das würde verkennen, dass der Mensch kein Arbeitstier sondern ein tätiges Wesen sei, für den seine Tätigkeit auf drei Fundamenten basiert: Auf Sinn, Identität und Befinden. Stiftet die Tätigkeit Sinn oder ist sie sinnlos? Hilft sie, die eigene Identität zu formen oder wird diese zerstört? Hat sie einen positiven Effekt auf unsere Gesundheit, oder macht sie uns physisch und vor allem psychisch krank? Untersuchungen haben nämlich gezeigt, dass durch eine Tätigkeit, die diesen Kriterien nicht entspricht, jede 6. Person krank wird, wobei die häufigste Erkrankung die Depression sei.

Philipp Löpfe stellte fest, dass wir langsam überall an Grenzen stossen. Alles wird unsicher. Wir stehen vor einem gewaltigen und gefährlichen Bruch in der Gesellschaft und somit käme der bGE gerade noch zur rechten Zeit. Allerdings hat sich in grossen Teilen der Gesellschaft noch kein entsprechender Bewusstseinswandel ergeben. Obwohl sich bereits 3 von 4 Jobs im Dienstleistungssektor befinden, ist das allgemeine Denken noch immer jener der Industriegesellschaft. Professor Ulrich pflichtete dem bei und bemerkte, dass sich dieses Denken in zwei Bereiche teilen lässt:  in einen sogenannten Laborismus, der den Selbstwert durch Arbeit hervorhebt (Grundlage des Marxismus) und in einen Kapitalismus, der den Wert der Arbeit in monetären Einheiten misst; der Begriff homo oeconomicus passe in dieses Schema. Er drückte es noch drastischer aus, als er sagte, dass die Meinung, der Sinn der Volkswirtschaft sei Arbeitsplätze zu schaffen vollkommen blödsinnig wäre – Löhne seien Kosten und Kosten müssten reduziert, nicht erhöht werden!

 

2. REAKTIONEN AUF DAS bGE

Laut Philipp Löpfe waren die Reaktionen noch vor sechs Jahren eher negativ, auch und insbesondere seitens der Gewerkschaften und der linken Politik. Inzwischen vollzieht sich jedoch auch aufgrund der wirtschaftlichen und finanziellen Turbulenzen ein Wandel. Als er kürzlich ein Interview mit dem deutschen, im bGE stark engagierten Grossunternehmer Götz Werner führte, konnte sogar ein positives Echo verzeichnet werden.

Daniel Hänni berichtete, dass die Tatsache, dass Medien über das Thema berichten, nicht immer förderlich sei. So erzählte er, dass die DRS ‚Rundschau‘ mit ihm zu einer Session des deutschen Parlaments reiste, um eine Debatte zum Thema bGE zu verfolgen und über sie zu berichten. Titel der anschliessenden Sendung: „Lohn ohne Arbeit“!

 

3. WEGE ZUR UMSETZUNG

Die Umsetzungsdiskussion drehte sich vorwiegend um die Frage der Finanzierung. Daniel Hänni fasste den Weg mit den Worten „Von alle an alle“ zusammen. Er machte aber auch auf ein grosses Missverständnis aufmerksam: Das bGE sei kein zusätzliches Einkommen - es liesse sich gar nicht finanzieren. Das bGE muss als Teil eines Gesamteinkommens betrachtet werden, als ein Sockelbetrag, der vom Staat ohne Auflagen garantiert wäre.

Wie das Buch Die Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens (von BIEN-Schweiz herausgegeben) darstellt, lässt sich das bGE ohne Weiteres finanzieren. Die Frage wurde gestellt, welches der verschiedenen möglichen Modelle das Rennen machen könnte. Die Antwort lautete, dass eine gemischte Finanzierung die besten Chancen hätte. Nationalrätin Prelicz-Huber meinte dazu, dass man eine bGE-Initiative formulieren könne, ohne ein bestimmtes Modell zu nennen. Bei einer Annahme der Initiative würde die parlamentarische Diskussion einem Modell den vorzug geben.

Katharina Prelicz-Huber stellte die Frage, warum die AHV eigentlich nicht auf alle Bürger auszudehnen sei; angesichts der immer grösser werdenden Schere zwischen Arm und Reich würde die sozialpolitische Diskussion notwendiger denn je.

Professor Ulrich bemerkte, dass mit dem bGE die Lohnnebenkosten sinken würden und den Standortwettbewerb stärken würden. Ausserdem würde durch den Wegfall vieler bürokratischer Massnahmen eine ungeheure Effizienz entstehen. Längerfristig sähe er als ‚idealen Bürger‘ einen, der (a) ein Sockeleinkommen hätte (z.B. bGE), (b) ein Erwerbseinkommen und (c) ein Kapitaleinkommen aus Investitionen aus (a) und (b).

Christian Müller und seine Gruppe untersuchen den Grund für Widerstände gegen das bGE durch Gespräche mit Berufsgruppen und Vertreter diverser Berufe, mit Wissenschaftler, Ökonomen und Politiker.  Aufgrund der Basisdemokratie, der bisherigen Solidarität untereinander und einer hohen, verteilbaren Produktivität betrachtet er die Schweiz als prädestiniert für eine entsprechende Initiative. „Das bGE ist machbar, man muss es nur wollen.“ Peter Ulrich fand, es wäre gut, sich daran zu erinnern, dass das Sozialprodukt ein soziales Produkt sei und die Solidarität seit jeher ein wichtiger, vielleicht der wichtigste Bestandteil einer Zivilisation. 

Daniel Hänni vertrat die Meinung, dass eine Initiative gut vorbereitet sein müsste; Schnelligkeit sei fehl am Platz.  „Wer es schnell haben will, gibt die Führung aus der Hand.“ Es sei nun vor allem wichtig, dass der Dialog über das bGE aufrecht erhalten wird.

Professor Wehner führte aus, dass wir vor allem Tätigkeitswesen sind. Daher stellt sich die Frage, welche Tätigkeit für einen selbst Sinn macht. Wir sind aber auch soziale Wesen, die irgendwann das Bedürfnis haben, der Gesellschaft etwas zurückzugeben.

 

Die Veranstaltung war vorzüglich organisiert, moderiert und durchgeführt. Die Art, wie sich das Podium mit Humor referierte und einander den Ball zuwarf, war äusserst gelungen und gab dem Publikum trotz manch schwieriger Materie keine Gelegenheit, sich zu langweilen.

Nur dem Thema ‚Reaktionen‘ wurde m.E. zu wenig Zeit gewidmet. Da es jedoch zunehmend im Mittelpunkt der Diskussion stehen wird, sollte es bei einem künftigen Podiumsgespräch entsprechend gewichtet werden.

Es bleibt zu hoffen, dass innert 6 Monaten ein weiteres Gespräch zu diesem Thema stattfinden wird und dass sich weitere Gruppen in mehreren Kantonen nach dem Muster der Gruppe um Christian Müller bilden werden.

 

Michel Mortier

26.11.2010

 

 

 

 

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