Im nebenstehenden Artikel aus der NZZ am Sonntag vom 13. März 2011 werden zwei prominente liberale Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens zitiert. Klaus Wellershoff ist ehemaliger Chefökonom der UBS; er hat sich schon mehrfach für ein Grundeinkommen ausgesprochen, und mit seiner Teilnahme am Grundeinkommens-Kongress in Zürich am 19. März unterstreicht er diese Position erneut. Thomas Straubhaar vom Hamburger Weltwirtschaftsinstitut gilt als einer der Mitbegründer des «Solidarischen Bürgergeldes», des sozialliberalen Modells des ehemaligen thüringischen CDU-Ministerpräsidenten Dieter Althaus.
Wir finden es bemerkenswert, dass die NZZ am Sonntag im Beitrag über die liberalen Grundeinkommens-Befürworter von einem Betrag von 2500 Fr. pro Person und Monat spricht; dies entspricht ungefähr jener Grössenordnung, die im Finanzierungsbuch von BIEN-Schweiz (Seismo-Verlag, Zürich 2010) nachgewiesen wird. In einer solchen Höhe steht ein Grundeinkommen nicht mehr im Verdacht, ein Sozialabbauprojekt aus der neoliberalen Ecke zu sein.
Selbstverständlich sind diese Angaben noch summarisch. Bei genauer Betrachtung kann zum Beispiel nicht im Ernst die völlige Streichung aller Sozialversicherungen diskutiert werden; wir verweisen als Beispiel auf die Leistungen der IV, welche abgesehen vom Rententeil selbstverständlich weiterhin erbracht werden müssen. Die entsprechenden Kalkulationen finden sich zum Teil in unserem erwähnten Buch.
Dennoch sehen wir unsere Ansicht bestätigt, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen in existenzsichernder Höhe durchaus nicht ein Projekt verschrobener linker Utopisten sein muss, sondern ein absolut handfestes Traktandum ist für die politische Agenda für alle Politiker/innen, welche die Sache in den Vordergrund stellen und nicht ideologische Grabenkämpfe.
Das schweizerisches Grundeinkommens-Netzwerk
Der Beitrag im Wortlaut:
Grundeinkommen statt Sozialwerke
2500 Franken monatlich für alle könnte die staatlichen Finanzierungsprobleme der Sozialwerke lösen
Die beiden renommierten Ökonomen Thomas Straubhaar und Klaus Wellershoff geben einer alten Idee neuen Rückenwind und fordern, ein Grundeinkommen für alle einzuführen.
von Sandra Willmeroth
Wie wäre es, wenn alle Schweizer Bürger ab April 2000 oder 2500 Fr. monatlich vom Staat bekämen – ohne Gegenleistung. Würden sich alle auf die faule Haut legen oder dennoch weiter arbeiten gehen – sofern sie zu den 4,618 Mio. erwerbstätigen Menschen in diesem Land gehören und nicht zu den 210 000 Erwerbslosen, den 230 000 Sozialhilfeempfängern oder den 460 000 IV-Bezügern, die von einer sozialen Schublade in die nächste geschoben werden?
Die meisten Menschen, die dies gefragt werden, sagen, dass sie selber natürlich weiterhin arbeiten gehen würden, aber bei denen da – ein Kopfnicken Richtung Bar, Regionale Arbeitsvermittlung oder Stadtpark – DIE würden bestimmt keinen Finger mehr krumm machen. «Das ist die unterschiedliche Wahrnehmung vom Mikro- und Makrokosmos. Menschen finden ihren türkischen Nachbarn Ali zwar sehr nett und freundlich, sprechen sich aber trotzdem gegen Türken als Ausländergruppe aus», erklärt Thomas Straubhaar, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg und Chef des Hamburgisches Weltwirtschaftsinstituts (HWWI).
«Eine urliberale Idee»
Der Schweizer, der seit fast 20 Jahren im Norden Deutschlands lebt und arbeitet, ist als liberaler Wirtschaftsdenker bekannt. Ausgerechnet er tritt dafür ein, jedem Bürger monatlich ohne Gegenleistung einen Geldbetrag zur Sicherung des existenziellen Minimums auszuzahlen – unabhängig von Alter, Beruf, Einkommen, Sozialstatus, Geschlecht, Gesundheit oder Bildungsabschluss. «Das ist eine der urliberalsten Ideen, die man sich vorstellen kann. Nicht von ungefähr hat sich schon der Ökonom Milton Friedmann positiv zur Idee geäussert, staatliche Hilfsleistungen nicht mehr paternalistisch und nach willkürlich gesetzten Kriterien zu verteilen», sagt Straubhaar. Wenn überhaupt Leistungen fliessen, dann solle das Transfersystem doch so effizient, transparent und gerecht wie möglich gestaltet sein.
Effizienz, Transparenz und Gerechtigkeit verspricht der Gesellschaftsentwurf «Grundeinkommen», denn die auf die Überalterung zusteuernden Rentensysteme würden ebenso obsolet wie die bürokratischen Arbeitslosenversicherungen und die obrigkeitlichen Sozialämter. Ein Grundeinkommen würde die Sozialwerke überflüssig machen. Das Einsparpotenzial wäre enorm: Die Sozialausgaben der Schweiz betrugen 2007 laut Bundesamt für Statistik 27,3% des Bruttoinlandproduktes oder 142 478,2 Mio. Fr. oder 18 763 Fr. pro Kopf und Jahr. «Die Defizite unseres jetzigen Sozialsystems, das so komplex geworden ist, dass eine informierte Entscheidung des Individuums gar nicht mehr möglich ist, würden durch ein Grundeinkommen auf einen Schlag beseitigt», sagt Klaus Wellershoff, Ökonom und Unternehmensberater. Er nimmt am kommenden 19. März in Zürich am Kongress zum Thema Grundeinkommen («Die neue Schweiz – ein Kulturimpuls») teil, der erstmals in der Schweiz stattfindet. «Ein Grundeinkommen wird nicht alle Probleme auf einen Schlag lösen. Aber wir wollen einmal mit all den Irrtümern aufräumen», erklärt Christian Müller, Mitinitiator des Kongresses, dessen 600 Publikumsplätze innert weniger Tage vergeben waren. Darunter versteht er: die soziale Stigmatisierung und Ausgrenzung all jener Menschen, die nicht mehr am Arbeitsprozess teilnehmen.
Freiheit für Innovationsschübe
Das Grundeinkommen würde Menschen die Freiheit geben, zu tun, was sie wirklich tun wollen: ein Buch schreiben, die Grossmutter pflegen, ein neues Computerspiel entwickeln. «Es wird auf jeden Fall einfacher werden, sich in dieser Gesellschaft zu bewegen», denkt auch Klaus Wellershoff, denn «allein dadurch, dass wir uns von der Bürokratie und Intransparenz befreien, gewinnen wir Zeit und Klarheit». Das freigesetzte soziale und kreative Potenzial ist zwar nicht bezifferbar, aber vorstellbar: Es wird gross sein und würde der Konjunktur enorme Innovationsschübe verpassen.
Am schwierigsten abschätzbar sind die Folgen für den Arbeitsmarkt. Klar scheint, dass sich am oberen Ende kaum etwas ändern würde. «Für die Besserverdienenden ist ein Grundeinkommen völlig irrelevant und im Grunde nichts anderes als eine Steuerreform», meint Straubhaar, denn «bekomme ich als Professor ein Grundeinkommen, steigt dafür mein Steuersatz und damit die Brutto-Steuerbelastung. Aber unter dem Strich bleibt mein Netto-Einkommen gleich.» Der Preis für Tätigkeiten, für die kaum eine Qualifikation nötig ist, wird hingegen steigen müssen, damit diese Arbeiten überhaupt ausgeführt werden. Toilettenfrauen, Wäscherinnen oder Wachmänner verdienen dann mehr als heute.
Viele Studien zur Arbeitsmotivation zeigen, dass es neben dem monetären Anreiz zu arbeiten zahlreiche intrinsische Anreize gibt, wie soziale Kontakte und Anerkennung, Spass an der Arbeit oder Selbstverwirklichung. Wobei es aber auch einen Punkt gibt, ab dem mit negativen Anreizwirkungen zu rechnen ist, so dass die Motivation zur Arbeit schwindet. In Deutschland wird diese Grenze auf 1500 € monatlich geschätzt, in der Schweiz dürfte die Schwelle bei 2500 Fr. liegen.
Volksinitiative Grundeinkommen
Der Kongress zum Grundeinkommen von kommendem Samstag ist der Auftakt zur Vorkampagne für die Volksinitiative zum Grundeinkommen (www.bedingungslos.ch), welche im Frühjahr 2012 gestartet werden soll. Träger der Kampagne sind die «Agentur (mit) Grundeinkommen», die Initiative Grundeinkommen und die Stiftung Kulturimpuls Schweiz, auch mit weiteren Institutionen sind die Akteure in Kontakt. Weltweit sind in den vergangenen Jahren verschiedene Initiativen und Vereine zum Grundeinkommen gegründet worden, das grösste internationale Netzwerk heisst BIEN (Basic Income Earth Network).
Sandra Willmeroth
NZZ am Sonntag vom 13 März 2011
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Commenti
Was ist Liberalismus ?
Man darf eben nicht den Liberalismus mit einer autoritären Arbeitsmoral verwechseln. Die Grundidee der echten Liberalen ist nämlich: so viel Vertragsfreiheit und freies Unternehmertum wie nur möglich; da ist für zwanghafte Arbeitsmoral nun wirklich kein Platz.
Erst das BGE schafft einigermassen Vertragsfreiheit auf dem Arbeitsmarkt. Das wäre endlich ein Liberalismus, der die ganze Bevölkerung angeht und interessieren kann.
So ist es auch.